In den letzten Tagen wurde ja wieder viel disktuiert von wegen Urheberrechten, Verwertungsgesellschaften und Raubkopierer-kostenlos-Mentalität. Angefangen hat das mit einem offenen Brief von 51 Tatort-Autoren, in dem sie zu einem Rundumschlag gegen die nach ihrer Ansicht vorherrschende “kostenlos”-Mentalität ausgeholt haben. Schnell folgte dann eine eine Diskussion auf Google+, gestarten von einem Herrn Dirk Baranek, gefolgt von einer Antwort von 51 Hackern des CCC, und auch Reaktionen einzelner Piraten gab es.

Die ganze Diskussion hinkt, und nicht nur, weil dauernd ungeeignete Vergleiche gebracht werden (n.b: “Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich”). Wir müssen uns zunächst einmal die Frage stellen, warum diese Diskussion geführt wird. Und da können wir jetzt einmal nur vermuten, daß eine oder mehrere Seiten in diesem wohlwollend “Interessenskonflikt” genannten Umfeld nicht genug Geld verdient. Diese Vermutung liegt vor allem aus einem Grund nahe: Wenn sich Urheber und/oder Verwerter an geschaffenen Werken dumm und dämlich verdienen würden, dann müsste man keine Diskussion über Urheberrecht führen. Und wenn man sie doch führen würde, so würde sie nicht von Vertretern der Urheber/Verwerter initiiert, sondern von Verbrauchern. Wie die Dinge jedoch liegen wird das Thema Urheberrecht und der ganze damit verbundene Sumpf (“Three Strikes”) eigentlich so gut wie nie von den Konsumenten auf den Tisch gebracht. Also nehme ich an dieser Stelle an, daß die Urheber oder die Verwerter mit dem Produzieren und Vermarkten von Werken zu wenig Geld verdienen. Und da der aktuelle Anlass sich im Bereich “TV” bzw. “Filme” findet, will ich im folgenden auf die Filmindustrie eingehen.

Zu Anfang und in der ersten Hälfte dieses Jahrtausends hatten wir schonmal heftige Diskussionen um das Urheberrecht. Damals war es jedoch nicht die Filmindustrie, die das Thema regelmäßig angesprochen hat, sondern die Musikindustrie. Zum einen hat das garantiert mit der technischen Entwicklung zu tun: Jeder, der ein bißchen klar denken kann, muß einsehen, daß es leichter ist, ein Musikstück über das Internet zu übertragen als einen Film. Einzelne Lieder sind normalerweise kürzer als Kinofilme, das heisst, es fallen weniger Daten an. Zudem ist es weniger aufwändig, ein Musikstück in ein Format zu überführen, welches einen digitalen Austausch ermöglicht als es das bei einem Film ist - muß man bei einem Film ja neben dem Ton auch noch die Bilder irgendwie umwandeln. Und vor zehn Jahren hatten viele Menschen halt einfach noch nicht die Internet-Bandbreiten, die die Übertragung eines Films praktikabel gemacht hätten. Davon abgesehen hat auch die Softwareseite seit dem Jahr 2000 Fortschritte gemacht, was das Kodieren von bewegtem Bildmaterial angeht. Und so hatten wir in dem Eingangs genannten Zeitraum die Situation, daß es zwar ohne großen Aufwand möglich war, Musik über Internet zu beziehen, aber eben noch nicht ganze Filme.

Nun erinnern wir uns, daß wir damals von den Urhebern und Verwertern im Prinzip die gleichen Argumente gehört haben, wie wir es heute tun. Auch damals hat man in drastischen Tönen beschrieben, wieviel Gewinn der Branche entgeht, wenn Musik kostenlos getauscht wird. Auch damals haben wir die Forderung nach härteren Strafen und leichter durchsetzbarem Urheberrecht gehört. Irgendwann kam dann Apple mit iTunes, und wer sich noch erinnern kann - wenn man damals Musik im iTunes Store gekauft hat, dann hat man eigentlich immer Werke mit DRM erhalten. Die sich dann nur auf bis zu vier oder fünf Geräten abspielen ließ. Die an eine Hard- und Software-Architektur gekoppelt war. Und trotzdem hat sich das ganze für Apple und die Musikindustrie anscheinend schon damals gelohnt, denn sonst wäre das ganze garantiert eingestampft worden. Also muß man sich die Frage stellen: Warum haben einzelne Spieler auf dem Markt damals plötzlich Geld mit Musik verdient, obwohl wir doch schon damals die Infrastruktur hatten, um alles untereinander zu tauschen?

Wer pessimistisch ist, der mag sagen, daß es die Angst vor Strafen war, die uns davon absehen ließen, ~/Music via Bittorrent etc. frei zu geben. Aber ich glaube, das ist Bullshit. Die eigentliche Trendwende war, daß “die Massen” mit dem Einstieg von Apple das erste Mal die Möglichkeit hatten, auf bequeme Art und Weise und für einen vernünftigen Preis Musik zu beziehen. Gehen wir in das Jahr 1995 zurück: Am 6. Oktober lösen Die Fantastischen Vier mit ihrem Album Sie ist weg die Gruppe Technohead in den Album-Charts ab und verteidigen ihre Position bis zum 27. Oktober. Da übernimmt dann Coolio mit Gangsta’s Paradise (den Film mit MP als Lehrerin, dessen Name mir nicht mehr einfällt, würde ich echt gerne mal wieder sehen!). Und das waren alles Alben. Natürlich gab es schon damals Single-Auskopplungen aus einzelnen Alben, aber in den meisten Fällen war das Pricing (damals alles noch in DM) so, daß sich Singles nur gelohnt haben, wenn einem aus dem ganzen Album wirklich nur ein Stück gefallen hat - bei mehr als einem Track war es dann meist günstiger, das Album zu kaufen. Jetzt schauen wir mal, wieviele unterschiedliche Alben 1995 auf Platz eins der Charts waren: 30 Stück. Wenn einem aus jedem zweiten Album ein Titel gefallen hat, dann wären das 15 Singles gewesen, die man hätte kaufen müssen. Und wer sich noch an die Preise damals erinnert, der weiß, daß das eher unrealistisch für z.B. Schüler war.

Fast Forward (nicht Flash Forward, gute Serie, übrigens) in das Jahr 2012: Die Studios (also die Verwerter) haben in den letzten 17 Jahren offensichtlich bemerkt, daß ihr altes Modell, Musik auf CDs zu Pressen und im Zwangs-Bündel zu verkaufen, nicht mehr funktioniert. Die an der technischen Seite des Vertriebs beteiligten Spieler haben bemerkt, daß DRM bei ihrer Kundschaft nicht so gut angekommen ist. Und in letzter Zeit haben einige Künstler gar bemerkt, daß die Musik selbst kostenlos sein kann, solange das Paket außenrum stimmt (Einnahmen durch Konzerte, Werbung etc.). Heute kann ich aus dem Kopf mehr als ein Dutzend Seiten nenne, auf denen ich legal Musik kaufen kann, die kein DRM hat, meistens auch kein Wasserzeichen. Die ich auf meinem Fernseher abspielen kann, meiner Workstation, in der Cloud, auf meinem Handy und die ich meiner Schwester per Mail schicken kann, wenn sie sie haben will. Und, oh Wunder, es wird immer noch Musik produziert und verkauft. Es gibt Leute, die sich offensichtlich mit dem Schaffen oder Vertreiben von Musik ihren Lebensunterhalt verdienen können, den Unkenrufen vom Ende der Musikkultur zum Trotz, die wir uns vor zehn Jahren anhören dürften.

Aus der Verfügbarkeit von technischer Infrastruktur und Musik ohne DRM und der Tatsache, daß es noch eine Musikindustrie gibt, folgt ganz klar, daß Konsumenten offensichtlich durchaus bereit sind, für Werke zu zahlen. Was die Musikindustrie also gerettet hat war nicht eine schärfere Gesetzgebung, sondern die Tatsache, daß sie sich auf neue Vertrbeiswege eingelassen hat. Daß sie sich einem Paradigmenwechsel gebeugt hat, in dem der Konsument durch die Macht seines Geldbeutels klar gemacht hat, daß er sich Freiheit und Bequemlichkeit beim Konsum von Musikstücken wünscht. Hier hat also ausnahmsweise einmal wirklich der Markt die heutigen Realitäten geformt - zum Gewinn aller, wie es aussieht. Hätten die Vermarkter damals auf ihren überkommenen Vertriebsstrukturen, bei denen sie dem Verbrauche zu diktieren versucht haben, welche Form dessen Konsum haben soll, bestanden, so hätten wir heute wahrscheinlich deutlich weniger Labes/Studios.

Warum ich Euch solche alten Kamellen erzähle? Weil die Filmindustrie heute genauso wenig in die Pötte kommt wie die Musikindustrie vor zehn Jahren. Die Vertriebsstrukturen sind immer noch viel zu einseitig auf althergebrachten Wegen festgefahren: Eine Film erscheint zuerst im Kino, dann auf DVD/BR, dann im Fernsehen. Eine Serie wird in den USA ausgestrahlt, dann in Europa, dann erscheint sie auf DVD/BR. Der am Anfang genannte Dirk Baranek schreibt dazu auf Google+ zwei eigentlich sehr schöne Kommentare:

Und die Durchsetzung von Verwertungsrechten als Zensur zu bezeichnen, ist auch irgendwie ziemlich schräg. Nochmal: es geht darum, dass diejenigen, die solche Werke schaffen oder ermöglichen, dann auch bestimmen, was damit passiert und was nicht.

Es ist immer noch das originäre Recht der Hersteller, darüber zu entscheiden, was sie mit ihrem Zeug machen wollen. Issso. Wenn’s das eben nur auf DVD gibt, tja, deren Entscheidung.

Abgesehen davon, daß ich seine Ausdrucksweise/Wortwahl mag: Er hat recht. Die Urheber/Verwerter müssen die freie Entscheidung darüber haben, was mit ihren Werken geschieht. Und es kann nicht sein, daß Konsumenten, weil sie mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sind, sich besagte Werke beschaffen, ohne dafür ihren Obulus zu entrichten. Aber: Freiheit funktioniert in beide Richtungen! So wie die Urheber/Verwerter das Recht haben, ihre Distributionskanäle frei zu bestimmen, so haben die Konsumenten das Recht, die Angebote einfach nicht wahr zu nehmen, wenn sie ihnen nicht gefallen. Das heisst nicht, dass es hier einen Freibrief gäbe, sich die Inhalte sonstwie zu beschaffen. Aber ich bin mir auch gar nicht sicher, daß das in so signifikantem Umfang passiert: Vielleicht, liebe Filmindustrie, müsst ihr Euch mit dem Gedanken anfreunden, daß ihr weniger Einnahmen habt, weil einfach wirklich niemand mehr Euren Kram anschaut - weder legal noch ohne zu zahlen. Und damit sind wir wieder bei der im zweiten Absatz gestellten Frage: Warum führen wir diese Diskussion? Weil zu wenig Geld verdient wird. Oder nicht genug. Und das geschieht offensichtlich, weil den Konsumenten die angebotenen Distributionskanäle nicht gut genug sind. Die Filmindustrie ist also aufgrund des technischen Fortschritts dort angekommen wo die Musikindustrie vor Apple iTunes war.

Es gibt erste, winzige Anzeichen dafür, daß hier langsam, ganz langsam, ein Umdenken stattfindet. So kann man mittlerweile selbst in .de und ohne Provider-Bindung an das rosarote T Filme “on demand” beziehen. Wie das aussieht konnte ich gestern im Selbstversuch erleben: Gewünscht wurde der Film War aus dem Jahr 2007. Und tatsächlich war das im Bereich des machbaren: Vor einiger Zeit habe ich mir einen neuen Fernseher (ja, liebe Plasma-Fraktion, das ist kein High End-Gerät. Aber mir reicht es!) gekauft. Der Fernseher ist Internet-fähig, und kann die Software des Anbieters maxdome ausführen. Somit hatte ich gestern die Möglichkeit, selbigen Film im HD anzusehen - für 2.99€ für 48h. Was jetzt gut klingt war dann aber leider eine Lachnummer (das Photo habe ich mit dem Handy aufgenommen, als der Vorspann lief):

Fernseher

Ja, genau (jetzt wisst ihr auch, woher der Titel dieses Eintrags stammt): Zusammengestaucht auf etwas weniger als die Hälfte der zur Verfügung stehenden Fläche. Tut mir leid, liebe Filmindustrie, wenn das das Beste ist, was ihr uns zur Verfügung stellt, dann verzichte ich dankend. Weitere Anzeichen, das hier ein Umdenken statt findet, muß man schon genau suchen, aber wenn man das tut, so findet man z.B. Netflix. Da kann man sich, Wohnort in Amerika oder einen geeigneten VPN-Endpunkt vorausgesetzt, für die Gebühr von acht Dollar im Monat anschauen, was man will. Auch Netflix hat noch nicht alles, auch Netflix bringt die Filme noch nicht für jedes Endgerät, hat DRM - aber dafür wenigstens Vollbild. Es kommt also Bewegung in den Markt.

Nur leider, wie das immer ist, wenn Unternehmen mit großem Marktwert beteiligt sind: Es ist zu langsam, es dauert zu lange. Das erkennt übrigens auch Dirk Baranek ;-)

TLDR-Version (“too long, didn’t read”): Die Filmindustrie macht die gleichen Fehler wie sie die Musikindustrie schon gemacht. Wenn man Filme/Serien zeitnah nach erscheinen über zeitgemäße Vertriebskanäle beziehen könnte, müsste man nicht diskutieren, denn dann würde wieder Geld verdient werden. Und vor allem würden diese Vertriebkanäle wieder einmal beweisen, daß die oft bekalgte “Kostenlos-Mentalität” ein Mythos ist. In diesem Sinne: Einen schönen Sonntag!